Heute möchte ich ein wenig über meinen beruflichen Hintergrund erzählen. Ich bin gelernter Versicherungskaufmann (an dieser Stelle erntet man üblicherweise einen Blick als hätte man gestanden, menschliche Eingeweide zu sammeln). Gearbeitet habe ich im Innendienst einer großen Lebensversicherung. Während meiner Ausbildung und in den ersten Jahren danach war von Depressionen nichts zu spüren. Statt dessen schien es aufwärts zu gehen. Ich habe nebenbei ein Studium zum Versicherungsfachwirt begonnen und am Horizont tauchte eine mögliche Gehaltserhöhung auf.
Und dann fing alles an zu entgleiten…
Der Versicherungsmarkt ist ein hart umkämpftes Geschäft und die Konzerne sind nur an ihren Zahlen interessiert. Für uns Sachbearbeiter bedeutete das, dass stetig zunehmende Arbeit nicht mit Neueinstellungen ausgeglichen wurde. Stattdessen wurden Überstunden zur Regel und Samstagsarbeit immer häufiger. Trotzdem nahmen die Stapel auf den Schreibtischen und die Mails in den Posteingängen nicht ab. Dass es dann zu den ersten Beschwerden der Kunden gekommen ist, weil die Wartezeit zu lang war oder weil die Fehler zunahmen, liegt auf der Hand. Ein vernünftiges Krisenmanagement hätte nun analysiert wo die Fehler liegen und schnell erkannt, dass es an Arbeitskräften mangelt. Aber das würde gestiegene Personalkosten bedeutet und das ist etwas, was man seinen Aktionären nicht verkaufen kann. Vor allem, wo es doch so viel einfacher ist, die Daumenschrauben anzulegen und den Druck auf die Belegschaft zu erhöhen.
Innerhalb von zwei Jahren kam es zu zu einigen Ausfällen von Kollegen von mir. Einige sind gegangen, weil der Druck ihre Gesundheit kaputt gemacht hat, andere sind gekündigt oder versetzt worden. Sogar Gruppenleiter hat es erwischt. Ich hätte nie gedacht, dass es Situationen gibt, die einen dazu bringen, auf der Arbeit in Tränen auszubrechen, doch dies war bei meinem ehemaligen Arbeitgeber mehrmals der Fall. Ich weiß von einigen Kollegen, dass sie im Büro geheult haben und auch mich hat es mehrmals erwischt.
Irgendwann hat sich bei mir dann die Depression breitgemacht. Allerdings nicht plötzlich, sondern schleichend. Ich konnte mich nicht mehr auf die Arbeit konzentrieren, habe vermehrt Fehler gemacht und mein Arbeitstempo sank in den Keller. Ich habe teilweise minutenlang nur ins Leere gestarrt, unfähig mich aufzuraffen. Leider hat mein damaliger Chef meine vermehrten Fehler zum Anlass genommen, mich zu seinem Feindbild Nummer eins zu erklären. Plötzlich war nichts, was ich tat gut genug. Wenn ich anderen Kollegen bei etwas geholfen habe (was recht oft vorkam, aufgrund gewisser Qualifikationen meinerseits), wurde ich von ihm gefragt, warum ich nicht in meinem Büro war. Ich hatte 100 Überstunden und er meinte, ich würde nicht lange genug arbeiten. Er warf mir Ordner quer über den Schreibtisch entgegen, schlug mit den Fäusten auf den Tisch und tat sein Bestmögliches um mich psychisch fertig zu machen.
Zudem hat auch in dieser Zeit meine Freundin mit mir Schluss gemacht, was mir sehr zugesetzt hat (mehr von dieser Beziehung und ihren Auswirkungen auf meine Depressionen folgen später). Genau in dieser Zeit standen dann auch noch die Abschlussprüfungen für den Versicherungsfachwirt an und ich frage mich heute noch, wie ich es geschafft habe, diese in meinem Zustand zu bestehen und das sogar mit einem respektablen Ergebnis.
Kurz danach kam aber der endgültige Zusammenbruch. Eines morgens saß ich im Bus auf dem Weg zur Arbeit und fing an zu weinen, einfach so. Ich konnte nicht mehr. Das war der Zeitpunkt, an dem ich erkannte, dass ich Hilfe brauche.
Kurz darauf war ich krankgeschrieben, wegen mittelschwerer Depressionen. Während ich also krank Zuhause saß, fand ich plötzlich meine Kündigung im Briefkasten. Dass dies nicht unbedingt zu meinem Wohlbefinden beigetragen hat, kann man sich wohl denken.
Tja, und da bin ich nun. Arbeitslos, depressiv und darum kämpfend, wieder auf die Füße zu kommen.